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Einsatzleitung
Inhalt :  
     
Entscheidungsgewalt   5.03.02
Einsatzleitung   18.07.01
Faulsack   15.10.00
Interne Kommunikation   05.10.00
Geld / Energie   02.10.00
Ungeschliffene Diamanten   Som. '00
I Ging    
Drei Kurze   Okt. '99
Gehirnforschung   Okt. '99
Der berühmte Haken   Sept. '99
Tacheles   Jul. '99
Sie ließen ihn liegen   '98
Altruismus   Frühl. '98
Kunst   16.02.98
Im dunklen Wald    
Sprache   Nov. '97
Geld   Okt. '97
Liebe Gemeinde   Jun. bis
Aug. '97
Der neue Schreibblock   Nov. '96
Tundra    
Demokratie   Jun. '96
Nächtebuch    
Talktime   Jun. '96
Unsterblichkeit   Feb. bis
Jun. '96
Tityrus    
Ach, Onkelchen   Apr. '96
Auszüge aus Briefen    
Anfang   '96 - '97
Bon-Rolle   Ganz alt
 

Tityrus

Datum: ???
Hey, das ist geklaut. Aber nicht weitersagen!



1

Am Anfang war Tityrus.

Und Tityrus langweilte sich, so allein und ganz von Sümpfen umgeben. - Da kam Menalk vorbei, der ihm eine Idee in den Kopf setzte, ein Samenkorn in den Sumpf da vor ihm. Und die Idee war das Korn, und das Korn war die Idee. Und mit Hilfe Gottes keimte das Korn und wurde eine kleine Pflanze, und Tityrus kniete abends und morgens vor sie hin und dankte Gott, daß er sie ihm gegeben hatte. Und die Pflanze wuchs und da sie mächtig wurzelte, hatte sie bald die Erde in ihrem Umkreis vollständig trockengelegt, so daß Tityrus festen Boden bekam, um seine Füße daraufzusetzen, sein Haupt daraufzulegen und das Werk seiner Hände zu festigen.

Als die Pflanze die Höhe des Tityrus erreicht hatte, genoß Tityrus die Freude, ausgestreckt in ihrem Schatten zu schlummern. Da nun dieses Gewächs eine Eiche war, mußte es gewaltig wachsen; so sehr, daß bald das Werk der Hände des Tityrus nicht mehr genügte, um die Erde im Umkreis der Eiche zu pflügen und zu jäten, um die Eiche zu bewässern, sie auszuputzen, zu beschneiden, auszuschneiden, abzuraupen, und in der guten Jahreszeit die Ernte ihrer zugleich zahlreichen und mannigfachen Früchte einzuholen. Er nahm sich also noch einen Ausputzer, einen Beschneider, einen Ausschneider, einen Abrauper, sowie etliche Pflücker. Und da jeder sich streng an seine Tätigkeit halten mußte, bestand einige Gewähr, daß jedes Geschäft gut besorgt werde.

Um die Lohnzahlungen für jeden zu regeln, brauchte Tityrus einen Zahlmeister, der sich bald mit einem Kassierer in die Verwaltung des Vermögens teilte; das wuchs wie die Eiche.

Da inzwischen dem Abrauper und dem Ausschneider Unstimmigkeiten über die Grenzen ihrer Arbeitsgebiete entstanden waren, sah Tityrus die Notwendigkeit eines Schiedrichters ein, der sich mit zwei Advokaten pro und contra vorsorgte; Tityrus nahm sich einen Sekretär, um die Urteile aufzuzeichnen, und da man sie nur aufzeichnete um für die Zukunft Unterlagen zu besitzen, gab es einen Verwalter der Urteile. Indessen stiegen nach und nach Häuser aus dem Boden auf; und es wurde eine Straßenpolizei nötig und Aufseher, gegen ihre Verstöße.

Tityrus , mit Beschäftigungen überlastet, begann krank zu werden; er ließ einen Artzt kommen, der ihm riet, eine Frau zu nehmen - und da Tityrus inmitten so vieler Leute seiner Sache nicht mehr gewachsen war, sah er sich gezwungen einen Beigeordneten zu wählen, was dazu führte, daß man ihn zum Bürgermeister ernannte. Von da an blieb ihm nur noch wenig Zeit, um mit der Angel zu Fischen, von den Fenstern seines Hauses aus, die nach wie vor auf den Sumpf gingen.

Nun richtete Tityrus Festtage ein, damit sein Volk sich vergnüge; aber da die Vergnügungen teuer waren und keiner viel Geld hatte, begann Tityrus um allen leihen zu können, von jedem einzelnen Steuern zu erheben.

Der Eiche aber inmitten der Ebene (denn trotz der Stadt, trotz der Bemühungen so vieler Menschen war es immer Ebene geblieben), der Eiche sage ich, inmitten der Ebene, machte es keinerlei Mühe, so dazustehen, daß eine Seite im Schatten, die ander in der Sonne war. Unter dieser Eiche nun, auf ihrer Schattenseite, hielt Tityrus Gericht; auf ihrer Sonnenseite verrichtete er seine natürlichen Bedürfnisse.

Und Tityrus war glücklich, denn er glaubte, ein den anderen nützliches Leben zu führen, und war äußerst beschäftigt.

2

Das menschliche Streben ist kultivierbar. Die also begünstigte Betriebsamkeit des Tityrus schien ständig weiter zu wachsen; da sein von Natur erfinderischer Geist ihm immer neue Unternehmungen eingab, sah man ihn seine Wohnung möblieren, tapezieren und einrichten. Man bewunderte die tadellose Bespannung und die Brauchbarkeit jedes Gegenstandes. Geschickt wie er war, zeichnete er sich als Empiriker aus; er erfand sogar, um seine Schwämme an der Wand aufzuhängen, Haken in Form eines Akrostichons, die er allerdings nach vier Tagen nicht mehr brauchbar fand.

Und Tityrus ließ neben seinem Zimmer ein Zimmer für die Interessen der Nation bauen; die beiden Zimmer hatten einen gemeinsamen Eingang, um den Eindruck zu Erwecken, daß die Interessen die gleichen seien; aber, wegen dieses gemeinsamen Eingangs, der beide Zimmer mit derselben Luft versorgte, konnten die beiden Kamine nicht gleichzeitig ziehen, und wenn man im einen Feuer machte gab es Rauch im andern. An den Tagen, an denen er Feuer machen wollte, gewöhnte sich Tityrus also daran, sein Fenster zu öffnen.Er ließ sich eine wandernde Leihbibliothek kommen mit einer Bücherverleiherin, bei der er ein Abonnement nahm. Und da sie Angelika hieß, gewöhnte er sich daran, alle drei Tage bei ihr den Abend zu verbringen. Auf diese Weise lernte Tityrus Metaphysik, Algebra und die Lehre von der göttlichen Weltordnung. Tityrus und Angelika fingen an, gemeinsam und mit Erfolg, verschiedene schöne Künste zu pflegen, und da Angelika eine besondere Vorliebe für Musik zeigte mieteten sie einen Flügel, auf dem Angelika die kleinen Liedchen exekutierte, die er zwischenhin für sie komponierte.

Tityrus sagte zu Angelika : Die vielen Beschäftigungen bringen mich um; ich kann nicht mehr; ich spüre die Abnutzung; diese gemeinsamen Verantwortlichkeiten steigern meine Gewissensbisse; wenn sie zunehmen, nehme ich ab. Was tun ?

Wenn wir fortgingen ? sagte Angelika zu ihm.

Ich kann ja nicht : ich habe meine Eiche.

Wenn du sie ließest ? sagte Angelika.

Meine Eiche lassen ! Wo denkst du hin ?

Ist sie nicht bald groß genug um allein weiterzuwachsen ?

Ich bin aber doch daran gebunden.

Mach dich los, erwiederte Angelika.

Und wenig später, nachdem er festgestellt hatte, daß, alles in allem, die Beschäftigungen, Verantwortungen und verschiedenen Skrupeln ihn ebensowenig festhielten wie die Eiche, lächelte Tityrus, witterte, reiste mit der Kasse und Angelika ab und ging gegen Ende des Tages mit ihr den Boulevard hinunter, der von Madeleine zur Oper führte.